Bundesrepublik
Außenwirtschaft
Bundesbank-
politik
Die Wirtschaft der Bundesrepublik bot im Berichtsjahr wiederum das Bild einer ungebroche
nen Hochkonjunktur. Der Aufschwung des Vorjahres setzte sich 1969 mit solcher Intensität
fort, daß sich bereits im Frühjahr eine Überforderung der Produktivkräfte abzeichnete. Die
Spannungen wuchsen von Monat zu Monat. Obwohl ein Höchstmaß an Kapazitätsauslastung
und Ausschöpfung des Arbeitsmarktes das Güterangebot kräftig erhöhte die Produktions
zunahme betrug in konstanten Preisen rd. 11 °/o waren Engpässe unvermeidlich. So er
gaben sich Auftragsüberhänge selbst bei Industrieerzeugnissen, für die vordem keine Liefer
fristen bestanden. Trotz Zustroms von weiteren rd. 400 000 Gastarbeitern aus dem Ausland
und Mobilisierung letzter einheimischer Reserven betrug die Zahl der offenen Stellen im
Jahresdurchschnitt rd. 750 000. Der hauptsächliche konjunkturelle Auftrieb kam aus dem
Investitionsbereich. Nach vorläufigen Berechnungen wendeten die Investoren für Anlagen
käufe rd. 18 mehr auf als im Jahr zuvor; bei Ausrüstungen betrug der Anstieg sogar
28,6 °/o gegenüber 10,1 °/o im Vorjahr. Ferner nahm im Zusammenhang mit einer im Spät
herbst heftig anrollenden Lohnwelle die Nachfrage nach Konsumgütem sprunghaft zu.
Der private Verbrauch wuchs im Berichtsjahr mit 10,3 °/o fast doppelt so stark wie 1968. Die
dritte Hauptauftriebskraft war die Ausfuhrentwicklung, welche sich gegenüber der mit dem
Gesetz zur außenwirtschaftlichen Absicherung verhängten Sonderbelastung der Exportwirt
schaft weitgehend immun gezeigt hatte und auch durch die Aufwertung im Gesamtbilde nicht
kurzfristig beinflußbar war.
Der Beitrag der Außenwirtschaft in Form der sog. Leistungsbilanz zum Bild der Zah
lungsbilanz bestand in einem Aktivsaldo in Höhe von DM 15,2 Mrd: Der Außenhandel
erbrachte einen Uberschuß von DM 15,6 Mrd, der Dienstleistungsverkehr mit dem Ausland
ein Defizit von DM 0,4 Mrd. Der aus der Konjunktursituation resultierende Nachfragesog
ließ die Einfuhrwerte um 20,7 (Vorjahr: 15,7 °/o) auf DM 98,0 Mrd emporschnellen, wobei
mehr als die Hälfte der Importe aus den fünf wichtigsten Partnerländern im deutschen Au
ßenhandel (Frankreich, Niederlande, USA, Italien, Belgien-Luxemburg) bezogen wurde. Die
mit jedem Quartal erneut und insgesamt auf DM 113,6 Mrd gestiegenen Ausfuhren expan
dierten zwar bei einer Steigerungsrate von 14,1 °/o weniger vehement, aber doch in fast
gleichem Ausmaße wie im vorangegangenen Exportboomjahr (14,4%). Im Handel mit den
USA hat sich allerdings in Auswirkung der amerikanischen Kreditverknappung der ohnehin
exzeptionelle deutsche Exportüberschuß des Vorjahres umDM2,0Mrd aufDM0,4Mrd zurück
gebildet. Bei der defizitären Entwicklung im Dienstleistungsverkehr spielten besonders die
Aufwendungen für Auslandsreisen eine Rolle: Deren Vorjahrespassivum von DM 2,7 Mrd
wurde 1969 schon in den ersten zehn Monaten übertroffen; im Jahresergebnis erreichte das
Defizit im grenzüberschreitenden Reiseverkehr die Rekordhöhe von DM 3,7 Mrd.
In Anbetracht des überhöhten internationalen Zinsniveaus sah sich die Bundesbank im Jahre
1969 des Zwanges enthoben, mit Rücksicht auf die Zahlungsbilanz noch länger kreditpoli
tische Neutralität zu üben. Sie bekämpfte den Trend zur Konjunkturüberhitzung frühzeitig
und setzte dabei ihr ganzes restriktives Instrumentarium ein: Erhöhung der Diskont- und
Lombardsätze, Verschärfung der Mindestreservebestimmungen, Kürzung der Rediskont-
Kontingente, gezielte Maßnahmen der Offenmarktpolitik. Zwischen Februar und September
_J dem Monat vor der Aufwertung ergingen lediglich im Mai keine kreditpolitischen
Beschlüsse. In dieser Zeitspanne erfolgte eine dreimalige Anhebung der Diskontrate von
ursprünglich 3 um je 1 auf 6 und eine viermalige Heraufsetzung des Lombardsatzes
von anfangs 3Vt auf 7V* °/o. Andere Motive hatten die späteren Bundesbankbeschlüsse.
Mit der Aufwertung hatte sich die monetäre Lage rasch und vollständig gewandelt. Die in
Höhe von etwa DM 20 Mrd in die Bundesrepublik eingeströmten Auslandsgelder flossen
wieder ab. Damit ging im Bankenapparat der Pendelschlag von überreichlicher Verflüssigung
zu außerordentlicher Geldverknappung. Symptomatisch hierfür waren die extrem hohen
Zinssätze des Geldmarktes. Zwecks Verbesserung der Bankenliquidität setzte die Bundes
bank im November und allerdings nur als Überbrückungshilfe für den Jahresultimo
auch im Dezember die Mindestreservesätze herab. Andererseits erhöhte sie den Lombardsatz
auf 9%. Damit bezweckte sie, Geldexporten ins Ausland jeden Anreiz zu nehmen, denn
inzwischen war infolge der langfristigen Kapitalausfuhr sie betrug bis zum Jahresende
DM 23,0 Mrd, davon allein DM 11,7 Mrd aus Wertpapiertransaktionen die Zahlungsbilanz
nicht nur von ihren Überschüssen entlastet, sondern so defizitär geworden, daß die Bundes
bank zur Auffüllung ihrer liquiden Devisenbestände erstmals auf ihre Reservepositionen
beim IWF zurückgriff. Die Aufwertung hatte ihr Nahziel, Repatriierung spekulativer Geld
anlagen und Normalisierung der Devisenmärkte, vollständig erreicht; die erwartete Dämp-
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