Mittelstand
Derschlaf ende Riese
ist noch nicht erwacht.
Joachim Drews,
Wirtschaftsjournalist, Köln
Mittelstand das ist mehr als die Addition
von 1,9 Millionen Unternehmen in der Bun
desrepublik Deutschland mit weniger als 500
Beschäftigten und 100 Millionen Mark Um
satz. Hier werden zwei von drei Arbeitsplät
zen und vier von fünf Ausbildungsplätzen
bereitgestellt. Der Mittelstand erwirtschaftet
mehr als die Hälfte unseres Sozialproduktes
und tätigt zwei Fünftel aller Investitionen. Und
nicht zuletzt: Aus seinem Bereich kommen
vier von fünf Patentanmeldungen. Die schein
bar Stillen im Lande also und nicht so sehr
die weltbekannten Unternehmen der Groß
industrie prägen in Wirklichkeit das Bild der
deutschen Wirtschaft. Ihre herausragenden
Eigenschaften: Erfindungsreichtum, Flexibili
tät, Anpassungsbereitschaft und die Fähig
keit, Innovationen rascher umzusetzen. Der
Mittelstand bestimmt weitgehend Tempo und
Richtung der wirtschaftlichen Entwicklung.
Von seiner Innovationsbereitschaft hängt es
letztlich ab, ob der notwendige Strukturwan
del in der deutschen Wirtschaft gelingt.
Mit dem quantitativen Leistungsnachweis ist
die Bedeutung des Mittelstandes noch immer
unzureichend erfaßt. Lebendiger Mittelstand
ist zugleich Kennzeichen einer freiheitlichen
Gesellschaftsordnung. Die wirtschaftlich selb
ständige Existenz ist auch Ausdruck und Vor
aussetzung von Freiheit und Demokratie. Eine
Gesellschaft ist um so freiheitlicher, gerechter
und humaner, offener und reformfreudiger,
desto vielfältiger, unabhängiger und kleiner
die Entscheidungszentren sind. Aber auch je
mehr selbständige Existenzen es gibt. Klein-
und Mittelbetriebe halten im Wirtschaftsleben
den Wettbewerb lebendig und verhindern
Machtzusammenballungen. Dieses Prinzip
wirkt in das gesellschaftliche Gefüge hinein.
Drei Hauptelemente machen den Mittel
standsbegriff aus: Wirtschaftliche Selbstän
digkeit auf der Grundlage risikotragenden Ei
gentums am Unternehmen, der persönliche
Einsatz des Unternehmers sowie die starke
Orientierung am Markt und die große Abhän
gigkeit vom Markt. Dies gilt gleichermaßen für
die rund 1,6 Millionen mittelständischen Un
ternehmen und etwa 350000 freiberuflichen
Praxen und Büros: für den Handwerker, den
industriellen Mittelstand, den Einzelhändler,
für Ärzte, Angehörige der Heilberufe, Rechts
anwälte, Architekten, Ingenieure, Landwirte
und für die Leitenden Angestellten. Zwar sind
die Grenzen nirgends exakt festgelegt, allen
gemeinsam ist aber das unternehmerische
Handeln, die ständige Neufestsetzung von
Zielen und Aufgaben unter sich ständig ver
ändernden sozio-ökonomischen und ökologi
schen Bedingungen.
Diese Aufgabe besitzt offensichtlich eine so
starke Anziehungskraft, daß trotz oder gerade
wegen der Wagnisse der Märkte, des Risikos
beim Einsatz von Kapital und eigener Arbeit,
der Schranken von Gesetzen und Verordnun
gen und trotz eines erheblich höheren Maßes
an Verantwortung gegenüber Wirtschaft und
Gesellschaft als vor 100 Jahren das Erreichen
von Entscheidungs- und Handlungsfreiheit
heute das bestimmende Motiv bei der Grün
dung einer selbständigen Existenz ist.
Doch Arbeit und unternehmerische Leistung
dienen nicht nur der Weltgestaltung und der
Selbstentfaltung. Sie sind immer zugleich so
ziales Handeln. Die soziale Dimension zeigt
sich darin, daß Leistung stets auch Arbeit für
Menschen bedeutet, die nicht arbeiten kön
nen, wie Kinder, Kranke, Alte, Arbeitslose.
Ohne Leistung und Wettbewerb ist soziale
Marktwirtschaft nicht denkbar. Wettbewerb
kann aber nur funktionieren, wenn eine Viel
zahl von Wettbewerbern und eine Vielzahl
11