auch konsequenter als irgendwo sonst von der Wirtschaftspolitik praktiziert worden ist, ließen sich in beliebiger Zahl anführen. Den noch würde heute wahrscheinlich selbst Pro fessor Alfred Müller-Armack, wäre der Vater des Begriffes „Soziale Marktwirtschaft“ und als Staatsekretär Ludwig Erhards einer ihrer tatkräftigsten Geburtshelfer noch am Leben, doch ein wenig zögern, den stolzen Satz zu wiederholen: „Mit der sozialen Marktwirt schaft hat erstmalig in der Entwicklung der Massendemokratien ein Begriff aus der Welt der Freiheit Resonanz gefunden“ (Handwör terbuch der Sozialwissenschaften, Artikel „Soziale Marktwirtschaft“, erschienen 1954). Mittlerweile hat zu Ende der sechziger Jahre eine „intellektuelle Demontage der Marktwirt schaft“ (E. Schneider) eingesetzt, und diese ist bis heute so weit gediehen, daß nicht bloß am linken Flügel der Sozialdemokratie ange siedelte Gruppen, sondern sowohl in der Bundesrepublik wie im Ausland auch offi zielle Repräsentanten des demokratischen Sozialismus die Berechtigung der Marktwirt schaft anzweifeln, sich sozial zu nennen. Grund genug, uns ernsthaft zu fragen, ob das, was in der „ersten Generation“ der Marktwirtschaft in breitesten Kreisen der Bevölkerung Resonanz gefunden hat, wirk lich „erstmalig in der Entwicklung der Mas sendemokratien ein Begriff aus der Welt der Freiheit“ oder ob es nicht, rückblickend gesehen, eher die sich aufdrängende Kausal verbindung mit dem war, was die Welt stau nend das „deutsche Wirtschaftswunder“ nannte. Hat aber der Mann auf der Straße die soziale Marktwirtschaft nicht so sehr mit dem Begriff der Freiheit assoziiert, die zwar im Modell ebensosehr Freiheit der Konsum- und der Arbeitsplatzwahl ist, in der ökonomischen Realität der Gegenwart aber doch wohl vor rangig als Dispositionsfreiheit der Unterneh mer gesehen wird, sondern verständlicher weise eher mit der eindeutig bewiesenen wirtschaftlichen Effizienz dieses Systems, dann haben wir alle Ursache, uns Gedanken darüber zu machen, ob und wie die soziale Marktwirtschaft ihre Attraktivität nicht für die Minderheit der unternehmerisch denken den Menschen, sondern für die breite Masse der „Wirtschaftsbürger“ auch dann behält, wenn sie sich nicht auf das Zeugnis eines „Wirtschaftswunders“ berufen kann. „Wirtschaftswunder“ bedeutet, in die nüch terne Sprache der Nationalökonomie über setzt, die gelungene Bewältigung der Anti nomie zwischen den zu einem „Magischen“ Drei- oder Mehreck angeordneten Wirt schaftszielen: rasches und störungsfreies Wachstum, hoher Beschäftigungsgrad und größtmögliche Geldwertstabilität bei ausge glichener Zahlungsbilanz und ausgewogener Wohlstandsverteilung. Tatsache ist, daß dieses „Wirtschaftswunder“ der Vergangenheit angehört: Das Tempo des Wirtschaftswachstums, gemessen am jahresdurchschnittlichen realen Sozialproduktzuwachs, ist von 5,5% in der Periode 1953 bis 1973 auf 3,1 in der Periode 1973 bis 1978 zurückgegangen. In der Pro-Kopf-Rechnung verringert zwar das Aussetzen des Flüchtlingszustromes den Unterschied, aber auch die Verlangsamung des durchschnittlichen Wohlstandszuwach ses von 4,6% auf 3,3% ist markant genug. Noch gravierender ist, daß das „Vollbeschäf tigungswunder“ vorüber ist: Hatte im Mittel der Jahre 1960 bis 1973 die Arbeitslosenrate trotz gewisser konjunktureller Schwankun gen bloß 1,0% betragen, so liegt sie im Durchschnitt der Jahre 1975 bis 1978, wenn auch mit leicht sinkender Tendenz, bei 4,5%. Was schließlich die Geldwertstabilität betrifft, sollte der zügige Abbau der Inflationsrate von 7,00/o im Jahre 1975 auf bloß 2,6% im Jahre 1978 nicht darüber hinwegtäuschen, daß der Index der Verbraucherpreise in den letzten zehn Jahren um 58% gestiegen ist, im Vergleich zu bloß knapp 48 o/o in den ersten zwanzig Jahren nach der Währungsre form. Das aber bedeutet, daß sich das Tempo der jährlichen Geldwertminderung von weniger als zwei Prozent (1,95 o/o) in den ersten zwei Dritteln auf fast viereinhalb Pro zent (4,48o/o) im letzten Drittel der bisherigen Lebensdauer der sozialen Marktwirtschaft beschleunigt hat. Empirisch orientierte Wirtschaftsforscher und vollends Wirtschaftspraktiker in den Vor standsetagen von Industrieunternehmen oder Kreditinstituten können aus dem Hand gelenk ein halbes Dutzend Ereignisse und Entwicklungen aufzählen vom Zusammen bruch des Systems der festen Wechselkurse über den Erdölschock und die daraus resul tierenden Recycling-Probleme bis zur Welt wirtschaftskrise 1974/75 und zu strukturellen Änderungen in der internationalen Arbeitstei lung die allesamt beweisen, daß es kei neswegs an einem „Versagen“ der sozialen 14

Rabobank Bronnenarchief

Geschäftsberichte Allgemeine Deutsche Credit-Anstalt / ADCA Bank | 1978 | | pagina 16