Hauptproblem:
Zahlungsbilanzdefizite
Turbulenz an der
Währungsfront
Europäische Gemeinschaft
ohne
Integrationsfortschritt
Im Jahresergebnis kam es zu einer Abschwächung des Preisauftriebes in einer Reihe
von OECD-Ländern, darunter in den Vereinigten Staaten (von 9% auf 5%), in Groß
britannien (von 25% auf 15%), in den Beneluxländern und in der Bundesrepublik,
während in Italien, Spanien und Irland die Verteuerung der Lebenshaltungskosten
20% und mehr erreichte. Mit einem Anstieg von nur 1,3% ist der Schweiz unter Ver
zicht auf ein größeres Wirtschaftswachstum die Geldwertstabilisierung am erfolg
reichsten gelungen.
Die Gefahren für die Weltwirtschaft, die in den erheblichen Zahlungsbilanz-Ungleich
gewichten liegen, haben sich 1976 leider verschärft.
Die Verschuldung der Nonoil-Länder der Dritten Welt ist durch die Ölverteuerung und
die kontinuierlich steigenden Preise für industrielle Importgüter, denen schwankende
Rohstoffexporterlöse gegenüberstehen, außerordentlich stark gewachsen. Die 1976
nach der Abschwächung des Vorjahres wieder eingetretene Erholung des Niveaus
der Rohstoffpreise Hausse bei Kaffee und Kakao, Anstieg bei den industriellen
Rohstoffen und Baisse bei Weizen, Mais und Zucker konnte an der Gesamtlage
nichts ändern.
Die bisherigen Verhandlungen im Rahmen des sogenannten Nord-Süd-Dialoges ha
ben deutlich gemacht, wie schwer es ist, zu einer allseits ökonomisch tragbaren Lö
sung des Problems zu kommen. Auch in diesem Jahr sind größere Fortschritte kaum
zu erwarten. Im Gegenteil: Die erneuten Ölpreiserhöhungen der OPEC ab 1. Januar
und 1. Juli 1977 werden die Lage eher noch verschärfen.
In Europa wuchsen infolge der immer weiter auseinanderklaffenden Zahlungsbilanz
entwicklung die monetären Spannungen. Der Zufluß extremer Kapitalströme aus
schwachen, unter besonderem Inflationsdruck stehenden Ländern in währungsstar
ke ließ keine Beruhigung an den Devisenmärkten aufkommen. Vor allem das Pfund
Sterling und die Lira, aber auch der französische Franc litten unter erheblichem Wert
verlust, während andererseits die Schweiz im Interesse ihrer Exportwirtschaft den
Höhenflug des Franken durch besondere Abwehrmaßnahmen eindämmen mußte.
Trotz massiver Kursstützungs-Interventionen der Zentralbanken erzwang die Krise
Änderungen im Europäischen Währungsverbund: Wiederaustritt Frankreichs aus der
Währungsschlange, Neufestsetzung der Wechselkurse im Ergebnis eine differen
zierte Aufwertung der DM gegenüber den anderen Schlangenwährungen und
schließlich Aufgabe der verengten Bandbreite der Währungen der Beneluxländer.
Die unterschiedliche Entwicklung der Mitgliedsstaaten hinsichtlich ihrer Strukturda
ten, Zahlungsbilanzen und Wechselkurse verhinderte echte Integrationsfortschritte
der EG.
Der Verzicht auf eine geschlossene Haltung in wichtigen wirtschaftspolitischen Fra
gen wie u. a. in der Energiepolitik, im Nord-Süd-Dialog, in der EG-Fischereipolitik
und in der Abstimmung auf eine gemeinsame Geldmengenpolitik— macht deutlich,
wie wenig es gelang, innerhalb der Wirtschafts- und Währungsunion zu einer einheit
lichen Willensbildung zu finden.
Positiv sind demgegenüber die Finanzhilfe für notleidende Mitglieder durch den funk
tionierenden Währungsmechanismus der EG-Zentralbanken und über die Kapital
märkte durch Auflegung von Gemeinschaftsanleihen zu bewerten; ferner die Auf
rechterhaltung des Agrarmarktes trotz schwerer Belastungen durch gestiegene Fi
nanzierungskosten für den gemeinsamen Fonds.