Zu expansive Haushaltspolitik
Unerwünschter Bauüberhang
Privater Verbrauch
auf hohem Niveau
Investitionsflaute
allmählich überwunden
Als erschwerend für eine konsequente Stabilitätspolitik erweist sich allerdings
immer wieder die Haushaltspolitik der öffentlichen Hand. Durch Ausgaben
steigerungen unter Hinnahme eines unangemessenen „deficit spending" wurde
bereits 1971 das Ziel, eine Stabilisierung zu erreichen, verfehlt. Die entschieden
expansive Haushaltspolitik wurde auch im Berichtsjahr fortgesetzt mit der
Folge, daß der Anstieg der Ausgaben rund 11% und damit nicht ganz so
hoch wie rund 15% im Vorjahr war, doch sich nunmehr auf das schon sehr
stark ausgeweitete Haushaltsvolumen von 1971 aufbaut. Die Voranschläge für
das laufende Haushaltsjahr lassen trotz vielseitiger Bedenken bisher eine wirk
same Korrektur der Ausgabenpolitik nicht erkennen.
Belastend kommt hinzu, daß der jüngste Konjunkturaufschwung auf nur noch
geringe Kapazitätsreserven trifft. Schon im letzten Quartal 1972 waren die
Produktionskapazitäten zu rund 86% ausgelastet, was dem Durchschnitt der
Jahre 1967 bis 1971 entsprach. Gegenwärtig dürfte die Kapazitätsauslastung
bei etwa 88% liegen.
Nicht ausreichende Kapazitäten prägen insbesondere das Bild der Bauwirt
schaft. Zu der im wesentlichen unverändert starken Nachfrage nach Wohnungs
bauten gesellen sich vermehrt Bauaufträge der öffentlichen Hand und der
Wirtschaft. Die im Jahre 1972 neu genehmigten Hochbauten lagen, gemessen
an der Bausumme, um rund 15% höher als im Jahr davor. Eine hier erkenn
bare, in dieser Form nicht wünschenswerte Bewegung hin in Sachanlagen hat
nicht zuletzt ihre Ursache in einem besorgniserregenden Verlust an Vertrauen
in die Geldwertbeständigkeit. Dies hat vornehmlich im Wohnungsbau zu sicht
baren Fehlentwicklungen geführt. Zwar war gegen Ende des Berichtsjahres bei
den Neuanträgen für Wohnungsbauten eine leichte Beruhigung zu beobachten,
dennoch hat sich auch 1972 der Überhang weiter auf über eine Million Woh
nungen am Jahresende vergrößert, was einem Bauvolumen von eineinhalb
Jahren entspricht.
Auch der private Konsum bewegte sich während des ganzen Berichtsjahres auf
sehr hohem Niveau. Wenngleich die tariflich vereinbarten Lohn- und Gehalts
erhöhungen um durchschnittlich 7% bis 8% insgesamt niedriger waren als 197l,
ermöglichten sie zusammen mit der Rückzahlung des Konjunkturzuschlages eine
weitere Steigerung der Verbraucherausgaben um etwa 10%. Angesichts des
sich allmählich abflachenden realen Anstiegs der Masseneinkommen mag sich
der Zuwachs in diesem Jahr allerdings etwas verringern. t
Dennoch wird die Lohnentwicklung nicht ohne Sorge zu betrachten sein. Waren
zu Beginn dieses Jahres die Forderungen noch als relativ maßvoll zu be
zeichnen, so bewegen sie sich gegenwärtig auf ein Niveau hin, das weit über
den zu erwartenden Produktivitätszuwachs hinausgeht, so daß die Gefahr neu
erlicher Preissteigerungen nicht von der Hand zu weisen ist.
Erfreulich ist festzustellen, daß die im Berichtsjahr nur langsam lebhafter ge
wordene Investitionsneigung inzwischen erheblich stärker geworden ist. Für
1973 rechnet die Industrie mit um 6% höheren Investitionsausgaben.