Bericht des Vorstandes
Zur Wirtschaftslage 1970/71
Der fünfte Konjunkturzyklus
Geringere Rezessionsfurcht
Sturm auf die D-Mark
Freigabe des Wechselkurses
der D-Mark
»Es gibt keine exakte Formel, die es gestattet, künftige oder vergangene (Konjunk
tur-) Zyklen zu berechnen, so wie man etwa die einzelnen Mondphasen oder Pen
delschwingungen berechnet.« Diese Feststellung des amerikanischen Nationalöko
nomen Samuelson wird von dem derzeitigen deutschen Konjunkturzyklus, der 1967
begann und der fünfte seit der Währungsreform ist, vollauf bestätigt. Er unterschei
det sich von den vorangegangenen vier Zyklen vor allem durch die Länge der Auf
schwungperiode, die Stärke des Booms und durch seine zahlreichen extremen Aus
schläge.
Zwar war in der zweiten Jahreshälfte 1970 ein leichtes Abklingen des Booms zu
beobachten, die zeitweilig sich abzeichnende Rezessionsfurcht breitete sich jedoch
nicht weiter aus. Im Gegenteil, in den ersten Monaten 1971 gewann eine zuver
sichtlichere Einschätzung der weiteren Wirtschaftsentwicklung wieder deutlich an
Boden. Die Konjunkturbremsen verloren infolge des in großen Mengen hereinströ
menden Auslandsgeldes zunehmend an Wirkung.
Geradezu als ein Signal zum Sturm auf die D-Mark wurde die Feststellung der wirt
schaftswissenschaftlichen Institute gewertet, die gefährlichen Lohn- und Preissteige
rungen könnten nur dann erfolgreich eingedämmt werden, wenn die konjunktur
dämpfenden Maßnahmen durch eine Freigabe des Wechselkurses der D-Mark
außenwirtschaftlich abgesichert würden. Daraufhin flossen allein in der ersten Mai-
Woche der Deutschen Bundesbank Dollar im Werte von rund 8 Milliarden DM zu.
Die Währungsreserven erreichten fast 68 Milliarden DM, wovon rund 41 Milliarden
seit Anfang 1970 hereingekommen waren.
Angesichts dieser Sturzflut von Auslandsgeld schloß die Bundesregierung am 5. Mai
1971 die Devisenbörsen und gab vom 10. Mai 1971 an den Wechselkurs der D-Mark
vorübergehend frei. Die Bundesbank wurde damit von der Pflicht entbunden, Dol
lars zum unteren Interventionspunkt von 3,63 DM aufzunehmen. Zugleich wurde
den deutschen Kreditinstituten die Verzinsung von ausländischen Guthaben ver
boten. Für die öffentliche Hand wurden Ausgabensperren angeordnet und die Kre
ditaufnahme begrenzt. Wenig später wurden zusätzlich die Mindestreserven um
15 Prozent erhöht, wodurch den deutschen Kreditinstituten rund 5 Milliarden DM
Liquidität entzogen wurde.
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