Bericht des Vorstandes
Wirtschaftlicher Rückblick 1969
Überschäumende Konjunktur
Diskont- und Lombardsatz
mehrfach erhöht
Der nun schon seit 1967 andauernde Konjunkturaufschwung der deutschen Wirt
schaft setzte sich im Berichtsjahr verstärkt fort und zeigte alle Anzeichen, in eine
bedrohliche Konjunkturüberhitzung auszumünden. Zunehmende Auslandsnach
frage - der Exportüberschuß erreichte eine Höhe von 15,6 Mrd. DM - steigende
Investitionen und der weiterhin gesteigerte Privatverbrauch lösten erhebliche Span
nungen zwischen Angebot und Nachfrage aus und führten zu unerwünschten Preis
steigerungen. Das Bruttosozialprodukt stieg um 11,8%- das ist der größte Anstieg
seit 14 Jahren - der private Verbrauch stieg auf 328 Mrd. DM. Die „Expansion nach
Maß" erreichte Ende 1969 das Stadium eines zum Überschäumen neigenden Booms,
der alle projektierten Maße sprengte.
Mit dem im Jahre 1967 verabschiedeten Gesetz zur Förderung der Stabilität und
des Wachstums der Wirtschaft hatte sich die Bundesregierung konjunktur- und wäh
rungspolitische Steuerungsinstrumente geschaffen, mit denen eine antizyklische
Haushalts- und Finanzpolitik durchführbar erschien. Einschneidende Aktionen blie
ben jedoch aus, so daß das Schwergewicht konjunkturdämpfender Maßnahmen
wieder - wie in früheren Perioden des Booms in der Verantwortung der Bundes
bank lag. Das Kardinalproblem unserer Wirtschaftspolitik, die Wachstumsraten so
zu gestalten, daß extreme konjunkturelle Ausschläge unterbleiben, dürfte auch im
vergangenen Jahr als nicht gelöst angesehen werden.
Im März wurden der Lombardsatz von 3,5% auf 4%, im April der Diskontsatz
von 3% auf 4% und der Lombardsatz von 4% auf 5% erhöht. In weiteren Schrit
ten wurden bis Mitte September der Diskontsatz auf 6% und der Lombardsatz auf
7,5% angehoben. Die Aufwertung der D-Mark Ende Oktober 1969 hatte einen
Devisenabfluß von mehr als 20 Mrd. DM und eine außerordentliche Anspannung
der Liquidität im deutschen Bankensystem zur Folge.
Die Bundesbank mußte den Lombardsatz schließlich auf 9% erhöhen. Die ver
meintliche Liquidisierung des Euromarktes und die im Zusammenhang damit erwar
teten Rückwirkungen auf das inländische Zinsniveau blieben aus. Im Dezember
notierte Tagesgeld über 10%. Erstmals in der Nachkriegszeit war damit kurzfristiges
Geld erheblich teurer als langfristiges Kapital.
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